Sait Keleş

Rede zur Ratssitzung am 27.11.2017 zum Haushaltsentwurf 2018

Sait Keleş

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der Oberbürgermeister dieser Stadt hat bei der HH-Einbringung mit ganz vielen Superlativen gesagt, dass er die erfolgreiche HH-Politik der letzten Jahre fortführen möchte, was sicherlich im Interesse aller Anwesenden sein dürfte.

Aber als jemand, der gelegentlich wirtschaftlich unterwegs ist, nehme ich es ziemlich ernst, wenn es darum geht herauszufinden, auf wessen “Mist” (wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen) ein bestimmter Erfolg gewachsen ist.

Nach Durchsicht unseres Haushaltes habe ich festgestellt, was wir eh schon alle wussten:

Unser Haushalt erzählt nämlich eine Erfolgsgeschichte, die nicht unbedingt auf das Handeln des Duisburger Oberbürgermeisters zurückzuführen ist.

  • Denn ohne die zusätzlichen Millionen mehr an direkten und indirekten Steuereinnahmen, die der guten konjunkturellen Lage unseres Landes geschuldet sind,
  • ohne das günstige Zinsniveau
  • und ohne die Unterstützung aus dem Stärkungspakt hätte Duisburg den HH-Ausgleich nie erreicht!

Schließlich bin ich auf der Suche nach dem vermeintlichen Erfolg des Oberbürgermeisters doch noch fündig geworden: Wenn wir nämlich die gerade erwähnten Glücksmillionen, die uns in den Schoß fallen, aus dem Haushalt herausrechnen, hätte Duisburg in der Tat den erfolgreichsten Oberbürgermeister bei der Neuverschuldung.

Dabei hätte der Oberbürgermeister in unserer Situation durchaus Möglichkeiten gehabt, zu glänzen: Die Stadt Duisburg kommt seit Jahren in immer mehr Bereichen ihrer Dienstleistungspflicht gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern nicht nach, obwohl sie sowohl in der Kernverwaltung als auch bei sämtlichen Tochtergesellschaften über ein aufgeblähtes Personaltableau verfügt.

Das nur mal als Anregung unsererseits!

 

Werte Kolleginnen und Kollegen,

erst vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einer Schülerpraktikantin, die, für ihr Alter nicht immer gewöhnlich, philosophisch sehr bewandert schien. Sie sagte mir, dass der Mensch, der in seinem Wesen ursprünglich gut ist, es schwer hat, gut zu bleiben, weil ihm die Zeit dafür fehlt. Wir seien gesellschaftlich so organisiert, dass der Naturzustand des Menschen alltäglich negiert würde.

Nun, für einen halbwegs erfahrenen Erwachsenen ist das natürlich keine bahnbrechende Aussage. Aber diese bislang nicht falsifizierte These über eine so kurze Formel zum Ausdruck zu bringen – und das auch noch aus dem Mund eines Pubertiers zu hören, ist schon Respekt einflößend gewesen.

Das Mädchen weiter:” Wir schicken die Kinder in den Kindergarten und gewöhnen sie daran, auf uns zu warten, bis wir sie abholen. Wir schicken sie in die Schule, damit sie die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens erlernen, die wir für sie aufgestellt haben. Und wenn sie erwachsen sind, haben sie gelernt, sich irgendwie durch das Leben zu kämpfen, wobei genau das Kämpfen gegen ihre Natur ist. Kurz gesagt: Wir tun so viel, aber erreichen letzten Endes nur, unsere Kinder in vielerlei Hinsicht einzuschränken und zu vernachlässigen, anstatt einfach nur mehr Zeit mit ihnen zu verbringen.

Ich erwähne das deswegen, weil sie philosophisch genau das zum Ausdruck gebracht hat, was ich mit meiner Fraktion seit einigen Monaten versuche, praktisch zu erreichen: Nämlich Familien und Kindern mehr finanzielle Spielräume für mehr Zeit einzuräumen.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

dass das Phänomen der Kinderarmut in einem der reichsten und – sollten wir demnächst wieder eine Regierung haben – auch eines der mächtigsten Länder der Welt überhaupt existiert, sollte für uns alle Schande genug sein.

In Duisburg ist mehr als jedes vierte Kind dauerhaft arm, weil es arme Eltern hat. Und mit arm ist nicht gemeint, dass Hartz-IV-Leistungen bezogen werden, sondern arm sind auch manche Kinder, deren Eltern arbeiten und über ein Einkommen verfügen. Wir nennen dies eine prekäre Lebenslage.

Diese Lebenslage hat dazu geführt, dass das “Wunschkind” mehr und mehr dem “Kostenfaktor” ausgewichen ist. Die eine Ausgabe hier, die andere Gebühr dort… das Sich-Kümmern kostet inzwischen sehr viel – auch in Duisburg.

Wir müssen uns fragen, wohin uns das gesellschaftlich bringt, Kinder als Kostenfaktor zu betrachten.

Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes fordert folgerichtig einen “Ressortübergreifenden Aktionsplan, der (…) Eltern ermöglicht, durch eigene Erwerbstätigkeit sich und ihren Kindern eine ausreichende finanzielle Lebensgrundlage zu bieten.”

Natürlich ist ein rigoroser Kurswechsel in der Steuer- und Finanzpolitik die offensivste Art, Armut zu bekämpfen, aber als Kommunalpolitik können wir effektiv über das sprechen, was wir auch zu verändern in der Lage sind. Und genau das sollten wir heute auch tun!

In Duisburg können wir beispielsweise versuchen, das Abdriften in die Armutsfalle zu verhindern, indem wir die Gefahr, arm zu werden und arm zu bleiben minimieren. Lassen wir es nicht mehr zu, vom Bund oder vom Land aufgedrückte Ausgaben mit dem Taschengeld unserer Kinder zu finanzieren.

Wir sind also gefordert mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, aber auch eben mit der Entlastung arbeitender Haushalte mit Kindern. Wie wir mehr Arbeitsplätze schaffen wird uns hoffentlich das Wirtschaftsdezernat in spe zeigen. Und wie wir die Etablierung eines sozialen

Arbeitsmarktes realisieren können, nachdem die Landesregierung Duisburgs Teilnahme am Modellprojekt “Sozialer Arbeitsmarkt” unmöglich gemacht hat, kann ich momentan nicht seriös einschätzen. Aber was wir hier und heute Armen und von Armut bedrohten Menschen bieten können, ist eine finanzielle Entlastung

Mit nur wenigen Handgriffen sind wir heute in der Lage, den finanziellen Spielraum einer Familie mit Kindern zu erweitern, indem wir sie von den Kindergarten-Gebühren befreien. Aus unserer Sicht ist das Geld dafür auch da! Wir haben`s lediglich in einigen Tochtergesellschaften schein-privatisiert, wo es jenen zu Gute kommt, die eh schon zu viel davon haben.

Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel aufmachen:

Die vierköpfige Familie mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 42 TEUR zahlt in Duisburg monatlich zwischen 147,- € und 220,- € Betreuungsgebühren, ohne Verpflegung. Wenn ich dieses durchschnittliche Familieneinkommen auf das tatsächliche Netto runter breche, komme ich auf einen Betrag, der die Unverhältnismäßigkeit zwischen den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln einer Familie und den Betreuungskosten der Kinder verdeutlicht.

Aber nicht nur die klassische Familie, die in unseren Breitengraden – nicht zu Unrecht – gerne zu den Hauptleistungsträgern unserer Gesellschaft gezählt wird, leidet unter der aktuellen Gebührenordnung, sondern auch kinderreichere Familien, Alleinerziehende, Geringqualifizierte sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Und von all diesen haben wir in Duisburg nicht gerade wenige.

Hinzu kommt, dass die Stadt Duisburg direkt und indirekt seit Jahren Menschen beschäftigt, deren Arbeitsverhältnisse als prekär einzustufen sind. Dies bedeutet, dass wir Duisburgerinnen und Duisburgern auf der einen Seite einen angemessenen Lohn verweigern, auf der anderen Seite jedoch von ihnen verlangen, für die mit prekären Arbeitsverhältnissen ermöglichten Dienstleistungen an ihren Kindern voll zu zahlen.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

unser Langfrist-Ziel bleibt der beitragsfreie Kindergarten. Wir wollen uns im nächsten Jahr diesem Ziel annähern und wollen einen Bruch mit dem aktuellen System wagen. Ganz im Sinne dieser Rede haben wir einige Änderungsanträge zum Haushalt 2018 gestellt und laden Sie ein, sich mit diesem ersten Schritt an der sozialen Umverteilung zu beteiligen.

Und ganz im Sinne meiner philosophischen Praktikantin: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die nach uns kommende Generation so lange wie möglich und so nah wie möglich in ihrem Urzustand zu halten. Indem wir es ihren Eltern ermöglichen, Freiräume zu schaffen, damit sie sich entschleunigt und ohne Abstiegsängste mehr um ihren Nachwuchs, mehr um unseren Nachwuchs zu kümmern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie für ein weiteres Thema gewinnen, welches unserer Stadt das ermöglicht, was sie verdient: Nämlich einen adäquaten Umgang mit ihrer kulturellen Vielfalt!

In Duisburg entsteht nicht gerade der Eindruck, dass die kulturelle Vielfalt unserer Stadt entsprechend gewürdigt wird. In den letzten Jahren wurden im Zusammenhang mit fremden Kulturen stets negativistische Narrative verwendet, die die Vielfalt eher als Belastung und nicht als Bereicherung darstellt.

Manch’ einer, der im Zusammenhang unserer realen Diversität mit dem Zeigefinger auf kulturelle anders sozialisierte Menschen zeigt und diese mit einem Straßen-Slang verunglimpft, vergisst gelegentlich, dass er mit mindestens drei Fingern auf sich zielt. Viele erfolgreiche Projekte anderswo zeigen, dass man derartigen Kindereien am besten mit Begegnungen Abhilfe leisten kann. Ganz im Sinne von „Zeig’ mir deine und ich zeige dir meine Kultur.“

Kultur zu fördern ist in einem immerwährenden Prozess der Integration für das Zusammenleben besonders notwendig, weil die Arbeitsmarkt-Integration oder die schulische Integration, trotz des angehängten Wortes Integration, nicht immer konfliktfrei verlaufen. Weil sich durch die Zuwanderung ab den 1960er-Jahren in Duisburg eine Subkultur etabliert hat, die professionell kanalisiert werden müsste.

Eine Möglichkeit, Multikultur qualitativ zu organisieren, was von fast allen Großstädten um uns herum praktiziert wird, sind sog. soziokulturelle Zentren, wo die Kulturen der Stadt zusammenkommen, wo über Generationen hinweg alle Menschen zusammenfinden und die gesamte Vielfalt der Stadt erleben.

Wir reden oft über Kultur, genießen oft Kultur, sind jedoch meistens etwas verlegen, wenn wir über die Finanzierung der Kultur ins Gespräch kommen. Sei es die Hochkultur, die wir zusammen mit Düsseldorf noch relativ gut hinkriegen oder sei es die sogenannte Freie Kultur.

Dabei ist es so einfach, dem eine Lösung entgegenzubringen. Insbesondere was die Förderung der Freien Kultur angeht oder was die Förderung der Multikultur angeht, können wir uns ohne viel Aufwand angemessene Lösungen präsentieren lassen.

Deswegen wollen wir Anreize für kognitive Begegnungen schaffen, die uns Wege aufzeigen, wie wir alle aus der Duisburger Subkultur profitieren können.

Duisburg ist in der glücklichen Situation, viele ehrenamtlich engagierte Menschen zu beheimaten, die über eine profunde Expertise unserer Kulturlandschaft verfügen.

In Interaktion mit diesen Menschen haben wir einige Ideen entwickelt, wie wir koordiniert darauf hinarbeiten können, Duisburgs Pluralität vielfältig erlebbar zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit diesem Vorstoß greifen wir eine Forderung auf, die dieser Rat als eines seiner kulturpolitischen Ziele in unserem Kulturentwicklungsplan aufgenommen hat. Wir würden uns sehr freuen, Sie alle auf unserem Weg neben uns zu sehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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