Fragt doch mal die Kinder!


Ratsfrau Dr. Nazan Sirin (Die GRÜNEN) legt den sozialpolitisch Verantwortlichen der Stadt einen Offenen Brief vor. Im Mittelpunkt: Unsere jüngsten MitbürgerInnen, vergessen in der Coronakrise.

„Meine Freunde kann ich nie sehen. Darum weine ich.“ Die 5jährige Mia sagt laut und deutlich was sie stört, ihrem 2jährigen Geschwisterkind fällt das noch schwer. Es fällt durch Schlafstörungen und Trotzanfälle auf. Für Kita-Kinder gibt es im Kontaktverbot massive Einschränkungen. Dabei ist der Kontakt zu Gleichaltrigen sehr wichtig, nicht zuletzt, weil dadurch soziale Kompetenzen erworben werden. In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 27. April sagt Dr. Fischbach (Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte) „Durch das Kontaktverbot und das Eingesperrtsein drohen psychosoziale Schäden“.

Dr. Sirin, selbst Mutter von Zwillingen, sagt: „Keine andere Bevölkerungs-gruppe ist so sehr aus dem Fokus der Politik geraten wie die der Kleinsten und Hilflosesten unserer Gesellschaft. Es wird kaum darüber nachgedacht, welche Auswirkungen es für die Kinder hat, wenn über einen „unendlichen“ Zeitraum die sichere Lebenswelt auf den Kopf gestellt wird. Keine Kita, kein Spielplatz, kein Besuch bei Oma und Opa – die Isolierung der Kleinsten wird einfach hingenommen. Zwar brauchen in der Krise die Kinder ihre Eltern ganz besonders, dies ändert aber nichts daran, dass die Eltern den Kindern nicht sagen können, wann die Ausnahmesituation beendet ist. Der Zeitrahmen „3 Wochen“ ist für die Jüngsten unfassbar lang.“

Eltern und Kinder werden aller Voraussicht nach, auch in den kommenden Monaten nur eingeschränkt auf die Kita zurückgreifen können. Stattdessen müssen Eltern privat kompensieren. Dass es dazu keinerlei Unterstützung geben soll, ist kein haltbarer Zustand. Wir schlagen folgende Maßnahmen vor, um den Zugang zur Kita schrittweise zu ermöglichen und gleichzeitig Familien auch für die kommenden Monate finanziell abzusichern. Die Eindämmung der Pandemie hat oberste Priorität – wir sind aber der Überzeugung, dass auch gesundheitliche und soziale Folgen der Isolation für Kinder sowie der Belastung der Eltern in der Diskussion mitgedacht werden müssen.

Derzeit haben wir keinen Überblick, wie der eigentliche Bedarf der Eltern ist. Um zu ermitteln, wie hoch der Bedarf an Betreuungsplätzen in den kommenden Monaten sein wird und wie viele Eltern mit finanzieller Unterstützung die Kinder weiter zu Hause betreuen könnten, könnte die Stadtverwaltung eine Bedarfsumfrage (online?) durchführen.

Gleichzeitig brauchen wir eine Abfrage, wie viele Beschäftigte in den Kitas der Risikogruppe angehören oder mit Personen der Risikogruppe in einem Haushalt leben, da diese nicht eingesetzt werden können. Hygienestandards und Abstandsregeln sind in Kitas kaum einzuhalten. Daher können diese Einrichtungen nicht von heute auf morgen geöffnet werden.

Mit den folgenden Vorschlägen respektieren wir diesen Fakt, zeigen aber Möglichkeiten auf, die Bedürfnisse von Familien und kleinen Kindern dennoch mitzudenken:

  1. Bei der schrittweisen KiTa-Öffnung bzw. dem Ausbau der Notbetreuung sollten die Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden sowie Kinder, die wegen ihres eigenen sozialen Bedarfs Betreuung bzw. Sozialkontakte brauchen (Einzelkinder,…) möglichst schnell berücksichtigt werden. Es sollte ermöglicht werden, dass Träger vor Ort innerhalb eines epidemiologisch begründeten Rahmens eigene Modelle (z.B. Schichtmodelle, einzelne Tage Kitabesuch ermöglichen auch für die Krippenkinder) entwickeln.
  2. Da auch ErzieherInnen/KinderpflegerInnen zur Risikogruppe gehören, wird die ohnehin enge Personalkapazität weiter reduziert. Private Betreuung sollte deshalb erleichtert werden, zum Beispiel indem kleine Betreuungsgruppen sowie der Besuch bei Freunden legalisiert werden. Wenn sich etwa bis zu drei Familien bzw. Hausgemeinschaften zusammenschließen, können Eltern die Kinder abwechselnd betreuen, was sowohl für die Eltern eine Entlastung darstellen würde als auch für die psychische Entwicklung der Kinder wichtig wäre, um deren Isolation zu durchbrechen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass sich dauerhaft immer dieselben Menschen in kleinen Einheiten treffen, um nicht durch ständig wechselnde Kontakte die Ausbreitung des Virus zu befördern.
  3. Die Zeiten der Notbetreuung müssen auf Arbeitszeiten der Eltern ausgebaut werden.
  4. Tagesmüttern und -Vätern muss die Wiederaufnahme ihrer Gruppen erlaubt werden.
  5. Kitakinder, die der Risikogruppe angehören, haben es besonders schwer: den Kontakt zu Freunden können sie noch nicht telefonisch halten, sie werden aber auch nicht bald wieder in die Kita gehen können. Wenn Erzieherinnen hier zumindest versuchen, mit den Eltern Kontakt zu halten und den Kindern regelmäßig Post aus der Kita schicken, wissen die Kinder zumindest, dass sie nicht vergessen wurden. Weitergehende Konzepte zur Frage wie unter diesen Bedingungen völlige Isolation verhindert werden kann, sollten mit Entwicklungspsychologinnen entwickelt werden. Darüber hinaus muss die Frage adressiert werden, wie Inklusion weiter gelingen kann, kreative Lösungen müssen für jeden Einzelfall möglich gemacht werden.

Vor Ort sollten Konzepte zur Öffnung von Spielplätzen erarbeitet werden. Damit Eltern hier genug Abstand halten können, müssen wir zusätzlichen öffentlichen Raum zur Verfügung stellen. In jedem Stadtteil können temporäre Spielstraßen errichtet werden. So können Freizeitaktivitäten entzerrt werden und alle Kinder bekommen die Möglichkeit, sich an der frischen Luft zu bewegen.

Wir bieten der Stadtverwaltung unsere uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft an, so Sirin, und hoffen auf eine rege Diskussion der vorgeschlagenen Schritte.

Die BezirksvertreterInnen der GRÜNEN könnten Standortvorschläge für Spielstraßen erarbeiten und zur Prüfung vorlegen. Gemeinsam können wir Eltern entlasten, Kindeswohlgefährdungen minimieren und allen Kindern so viel Raum wie möglich verschaffen.

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